Google Infoboxen-Vereinbarung mit dem Gesundheitsministerium ist kartellrechtswidrig

Die Vereinbarung zwischen Google und dem Gesundheitsministerium über Infoboxen zu Gesundheitsthemen ist kartellrechtswidrig gem § 1 GWB, Art 101 AEUV.
LG München I, Endurteil v. 10.02.2021 – 37 O 15721/20

Tenor LG München I, Endurteil v. 10.02.2021 – 37 O 15721/20

1. Der Verfügungsbeklagten wird im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu zweihundertfünfzigtausend Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wegen jeder Zuwiderhandlung
untersagt,
der … Ireland Ltd. Inhalte des Portals gesund.bund.de zu dem Zweck zur Verfügung zu stellen sowie deren Verwendung zu dem Zweck zu gestatten, diese in Knowledge Panels mit Gesundheitsinformationen anzuzeigen, wenn dies geschieht wie durch die den Inhalten der Webseite der Verfügungsbeklagten (https://gesund.bund.de) vorbehaltene Anzeige von Knowledge Panels mit Gesundheitsinformationen und einer Verlinkung, wie in nachfolgenden Screenshots vom 24.11.2020 beispielhaft dargestellt:
Desktop-Endgeräte:
Mobile-Endgeräte:
Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Verfügungsbeklagte ¼ und die Verfügungsklägerin ¾.
3. Das Urteil ist für die Verfügungsbeklagte in Ziffer 2. vorläufig vollstreckbar. Die Verfügungsklägerin kann die Vollstreckung der Verfügungsbeklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand LG München I, Endurteil v. 10.02.2021 – 37 O 15721/20

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Die Parteien streiten über die Zulässigkeit einer Kooperation zwischen der Verfügungsbeklagten und der … Ireland Ltd., nach der Inhalte des „Nationalen Gesundheitsportals“ der Verfügungsbeklagten bei der …-Suche nach bestimmten Krankheiten in besonderen Informationsboxen neben bzw. vor den allgemeinen Suchergebnissen prominent hervorgehoben werden.
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Die Verfügungsklägerin, ein Konzernunternehmen der … KG, betreibt seit mehr als 20 Jahren unter der Domain www…de ein werbefinanziertes Online Portal zum Thema Gesundheit, welches nach wissenschaftlichen Standards aber gleichzeitig laienverständlich medizinische Informationen zu Krankheiten, Symptomen, Medikamenten, Behandlungsmethoden und Laborwerten aufbereitet. Das erklärte Ziel der Verfügungsklägerin ist es, die Nutzer zu einem mündigen Gesprächspartner im Dialog mit ihrem Arzt oder Kostenträger zu machen. Mit täglich ca. 1 Mio. Seitenaufrufen ist die Verfügungsklägerin die derzeitige Marktführerin im deutschen bzw. deutschsprachigen Markt für Gesundheitsportale vor dem zweitplatzierten Portal der … und weiteren Anbietern. Ca. 76 % der Zugriffe auf das Portal der Verfügungsklägerin erfolgen über mobile Endgeräte, der übrige Teil über Desktop-Endgeräte.
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Die Verfügungsbeklagte, die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Gesundheit, betreibt seit dem 01.09.2020 unter https://gesund.bund.de das Nationale Gesundheitsportal (NGP), über das ebenfalls Gesundheitsinformationen bereitgestellt werden. Dieses geht zurück auf eine am 19.06.2017 ins Leben gerufene Initiative zur Stärkung der Gesundheitskompetenz in Deutschland. Erklärtes Ziel des Gesundheitsportals der Verfügungsbeklagten ist es, qualitätsgesicherte, unabhängige und allgemein verständliche Gesundheitsinformationen im Internet anzubieten. Neben einem Verzeichnis von Krankheiten, die einzeln in entsprechenden Artikeln erklärt und dargestellt werden, enthält das NGP Rubriken wie „Gesund leben“, „Pflege“ und „Gesundheit Digital“. Unter der Rubrik „Gesund leben“ finden sich beispielsweise Artikel mit erklärenden Ausführungen und Empfehlungen zu den Themen „Ernährung und Bewegung“, „Gesund am Arbeitsplatz“, „Gesund aufwachsen“, „Gesund im Alter“, „Psyche und Wohlbefinden“, „Schwangerschaft und Geburt“, „Sucht bewältigen“ und „Vorsorge und Früherkennung“. Die Artikel sind mit Grafiken und Fotos illustriert, enthalten z.T. Video-Beiträge und Audiodateien. Auf die Wiedergabe und Bewertung von Kontroversen wie etwa zu Themen wie Impfungen oder Mammographie oder auch Informationen zu Gebieten wie Homöopathie oder alternativer Medizin wird dabei bewusst verzichtet.
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Die Verfügungsbeklagte ist als Trägerin des Projekts für die Inhalte des NGP verantwortlich. Mit der Erstellung, dem IT-Support und der inhaltlichen Befüllung hat sie die … GmbH beauftragt. Diese arbeitet wiederum mit medizinischen Experten und Fachgesellschaften zusammen. Darüber hinaus arbeitet das NGP mit dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und dem Robert-Koch-Institut (RKI) zusammen.
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Die …Ireland Ltd. („…“) mit Sitz in Irland bietet als Teil des …-Konzerns die …Suchmaschine für Europa an, einschließlich des auf Deutschland ausgerichteten Angebotes („…-Suche“). Dieser zentrale Dienst kann u.a. unter der Domain www…de abgerufen werden. Für die Beantwortung von Suchanfragen bewertet der allgemeine Relevanz-Algorithmus von …die mittels eines sog. Crawlers indexierten Inhalte verschiedener Webseiten und sortiert sie nach ihrer Relevanz für die jeweilige Suchanfrage. Die so ermittelten generischen Suchergebnisse werden mit der Webadresse, einem blauen Link und einem kurzen Auszug der Webseite präsentiert, in dem sich die Suchbegriffe befinden („Snippet“). Die verlinkten Webseiten werden in der Suchergebnisliste nach ihrem Rang geordnet („Ranking“) dargestellt.
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Die Verfügungsklägerin hat eine hohe Sichtbarkeit bei der allgemeinen …-Suche und wird hier bei der überwiegenden Anzahl an relevanten Suchbegriffen („Keywords“) aus dem Gesundheitsbereich auf der ersten Suchergebnisseite, dabei oftmals an erster Stelle angezeigt, was unter anderem auf erhebliche Investitionen in die Qualität ihrer Inhalte und in die Suchmaschinenoptimierung zurückzuführen ist. Durchschnittlich 88 % des gesamten Nutzeraufkommens („Traffic“) auf dem Gesundheitsportal der Verfügungsklägerin wurde in den vergangenen zwei Jahren über die generischen Suchergebnisse der …-Suche generiert. Für Zugriffe über mobile Endgeräte lag dieser Wert bei 90 %.
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Neben den generischen Suchergebnissen sowie den vorgeschalteten …-Ads Textanzeigen werden auf der Suchergebnisseite teilweise auch hervorgehobene Infoboxen, sog. Knowledge Panels, angezeigt, die dazu dienen, den Informationsbedarf des Nutzers direkt innerhalb der …-Suche zu befriedigen. Dies ist der Fall, wenn die Nutzer nach Objekten wie Personen, Orten, Organisationen oder Dingen suchen, die im sog. Knowledge Graph, einer internen Datenbank von …, vorhanden sind. Auch andere Suchmaschinen bieten abgesetzte Suchergebnisse in vergleichbarer Form.
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In Deutschland hat der …-Konzern auf dem Markt der Internetsuchdienste seit mehr als zehn Jahren einen kontinuierlichen Marktanteil von über 90 %.
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Am 10.11.2020 verkündeten die Verfügungsbeklagte und …bei einer gemeinsamen Pressekonferenz (vgl. USB-Stick in den Anlagen der Verfügungsklägerin) den Start ihrer Zusammenarbeit bei Suchanfragen zu Gesundheitsthemen. Diese Zusammenarbeit soll es ermöglichen, verlässliche Informationen zu Gesundheitsthemen im Netz leichter auffindbar zu machen (vgl. Pressemitteilung der Verfügungsbeklagten vom 10.11.2020, Anlage K29). Zu diesem Zweck präsentiert die Suchmaschine …bei einer Stichwortsuche nach Krankheitsbegriffen die Antworten des NGP in einer prominent hervorgehobenen Infobox bzw. einem Knowledge Panel. Durch einen Link innerhalb der Infoboxen gelangen Nutzer direkt zum jeweiligen Artikel auf der Seite gesund.bund.de. Die Boxen erscheinen bei der Suche auf dem Desktop rechts neben der Liste mit den Anzeigen und den generischen Suchergebnissen. Bei mobilen Endgeräten werden die Infoboxen unmittelbar nach den Anzeigen aber vor den allgemeinen Suchergebnissen angezeigt. Sie haben jeweils drei Reiter („Tabs“), zwischen denen navigiert werden kann: Überblick, Symptome und Behandlungen. In der mobilen Variante verlinkt ein vierter Reiter „Schlagzeilen“ aktuelle Presseartikel, die zur Suchanfrage passen.
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Bis dato stehen für rund 160 Krankheitsbilder derartige Infoboxen zur Verfügung. Bei den Texten handelt es sich um Inhalte, die von der Verfügungsbeklagten speziell für die unmittelbare Bereitstellung durch Suchmaschinen verfasst und mit einem Markup versehen wurden. Über eine offene Schnittstelle beziehen die Infoboxen diese Informationen aus dem NGP. Diese Schnittstelle steht grundsätzlich auch anderen Suchmaschinen zur Verfügung.
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Der …Konzern bietet auch in anderen Ländern, darunter den USA und Großbritannien, Infoboxen zu Gesundheitsthemen an. Auch hier werden die Inhalte von dritten, nicht notwendigerweise staatlichen, Quellen bezogen.
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Bei der gemeinsamen Pressekonferenz teilte der Bundesminister für Gesundheit Jens Spahn u.a. mit:
„Wer Gesundheit googelt, soll auf unserem Portal des Bundes landen und dort die Informationen finden, die er braucht. Gesund.bund.de soll die zentrale Anlaufstelle werden für verlässliche Gesundheitsinformationen im Internet. Was liegt da näher, als direkt mit Deutschlands populärste[r] Suchmaschine zusammenzuarbeiten, nämlich mit … Dort werden künftig bei einer medizinischen Stichwortsuche Antworten des [NGPs] in einem prominenten, hervorgehobenen Infokasten präsentiert. […] Ich bin sicher, die Zusammenarbeit mit …bedeutet für das [NGP] einen enormen Bekanntheits – schub und diese Zusammenarbeit wird dafür sorgen, dass das Portal zu einem der wich – tigsten Anlaufpunkte für Bürgerinnen und Bürger im Netz für Gesundheitsinformationen werden kann.“
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Ferner gab er an:
„Wenn wir ein Interesse daran haben, objektive, fundierte, evidenzbasierte Informationen rüberzubringen, dann bringt es mir nichts, wenn wir bei …an Stelle 783.000 auftauchen“
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Der von der …-Suche generierte Gesamt-Traffic auf die Webseite der Verfügungsklägerin ist seit der Einführung der Infoboxen weitgehend gleich geblieben und sie hat auch in ihrem Ranking bislang keine Einbußen hinnehmen müssen. Bei einzelnen Krankheitsbegriffen nahm allerdings sowohl die Zahl der Zugriffe als auch die sog. Klickrate in der ersten Novemberhälfte ab. Unter der Klickrate oder Click-Through-Rate wird die Anzahl der Seitenaufrufe pro Impression, also pro Ausspielen der Seite der Verfügungsklägerin in den generischen Suchergebnissen, verstanden. Bei einer grundsätzlichen Zunahme des Nutzer-Traffics über …-Suchanfragen im Jahr 2020 verlor die Verfügungsklägerin zwischen dem 9. und dem 16.11.2020 auf 19 sehr traffic-starken Krankheitsbegriffen im Desktop-Bereich 5 %, im mobilen Bereich 10 % des Nutzer-Traffics. Bei ausgewählten sog. Grundsuchbegriffen, d.h. nach dem Vortrag der Verfügungsklägerin suchvolumenstarken und für die Umfeldvermarktung wichtigen Keywords (Arthrose, Blasenentzündung, Bronchitis, Depression, Epilepsie, Erysipel, Gallensteine, Magenschleimhautentzündung, Prostatakrebs, Schilddrüsenunterfunktion, Typhus, Wundrose und Neurodermitis), fiel die Klickrate seit dem 5.11. bis zum 14.11.2020 um etwa 32,5 % – dies bei ansonsten stabilen Sichtbarkeitsparametem (d.h. dauerhafter Anzeige in den oberen Positionen der ersten Suchergebnisseiten) und insgesamt positivem Trend. Eine weitere Analyse der Verfügungsklägerin ergab, dass die Seitenzugriffe auf die Webseite für die Suchbegriffe „Weißer Hautkrebs“ insgesamt um -10,9 % (bei mobilen Endgeräten -13,9 %) und „Blasenentzündung“ um -17,3 % (mobile Zugriffe -19,02 %) sanken. Obwohl das durchschnittliche Ranking dieser Seiten konstant blieb bzw. sogar leicht anstieg, sank die Klickrate dabei zwischen dem 2. und dem 16. November 2020 jeweils um -23 %. Bei einer später vorgenommenen Analyse stellte die Verfügungsklägerin fest, dass bei vier umsatzstarken Krankheitsbildern die durchschnittliche Klickrate bei mobilen Endgeräten in der Zeit vom 26.10.2020 bis 03.01.2021 um -37,1 % (Blasenentzündung), respektive -31,1 % (Reizdarm), -15,6 % (Hämorrhoiden) und -31,8 % (Laktoseintoleranz) zurückging. Wegen weiterer Analysen wird auf die schriftsätzlichen Ausführungen der Verfügungsklägerin Bezug genommen.
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Die Verfügungsklägerin führt diese zuletzt genannten – in der Sache unstreitigen – Entwicklungen auf die prominent platzierten Infoboxen mit den vom NGP bezogenen Inhalten zurück und macht kartellrechtliche und wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche gegen die Verfügungsbeklagte geltend.
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Die Verfügungsklägerin leitet ihren mit dem Antrag zu Ziff. 1) geltend gemachten Unterlassungsanspruch zunächst aus §§ 33 Abs. 1 GWB i.V.m. § 1 GWB, Art. 101 Abs. 1 AEUV her.
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Hierzu meint sie, der Zusammenarbeit zwischen den Verfügungsbeklagten und …liege eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung zugrunde. Dies folge aus der gemeinsamen Pressekonferenz Googles mit dem Bundesminister für Gesundheit. Es komme darin der gemeinsame Wille der Verfügungsbeklagten und Googles zum Ausdruck, in einer abgestimmten Weise die Darstellung von Inhalten des NGP exklusiv in einem nur hierfür vorgesehenen Anzeigeformat, den Infoboxen, innerhalb der …-Suche bereitzustellen, um einerseits die …-Suche für Nutzer vermeintlich attraktiver zu machen und andererseits die Inhalte des NGP weiter zu verbreiten, als es ohne diese Zusammenarbeit möglich wäre. Dies reiche für die Annahme einer Vereinbarung aus. Die Verfügungsbeklagte werde dabei als Unternehmen tätig, da es mit dem Gesundheitsportal NGP in Konkurrenz zu privatwirtschaftlichen Anbietern trete.
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Die Kooperation bezwecke und bewirke eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung. Aufgrund der großen Abhängigkeit aller Gesundheitsportale von der Vermittlungsleistung der …-Suche werde der Wettbewerb auf diesem Markt durch die vertikale Koppelung von Suchdienst und Infoboxen wahrscheinlich erheblich oder sogar vollständig beseitigt werden. Hierauf ziele die Vereinbarung auch gerade ab, denn es gehe den Beteiligten ausdrücklich darum, das NGP zu Lasten der anderen Anbieter zur zentralen Anlaufstelle für Gesundheitsinformationen im Internet zu machen.
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Zur Begründung der Wettbewerbsbeschränkung stützt die Verfügungsklägerin sich darauf, dass …die Nutzer-Aufmerksamkeit auf die prominent platzierten Infoboxen lenke. Dabei beruft sich die Verfügungsklägerin auf verhaltensökonomische Erklärungen der Europäischen Kommission im Verfahren „…Search (Shopping)“. Der gesundheitsspezifische Informationsbedarf der Nutzer werde so bereits innerhalb der Suchergebnisseiten befriedigt. Dies bezwecke die Verfügungsbeklagte auch gerade, denn hierin sehe sie aufgrund ihrer vielfachen Äußerungen gerade das Ziel der Zusammenarbeit. Selbst wenn noch ein Informationsbedürfnis verbleibe, sei es der Verfügungsklägerin zufolge wahrscheinlicher, dass die Nutzer auf den Link in den Infoboxen klicken als in den generischen Suchergebnissen nach weiteren Informationen zu suchen. Auf mobilen Endgeräten sei dieser Effekt besonders ausgeprägt, weil die generischen Suchergebnisse durch die Infoboxen weit nach unten gerutscht seien.
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Diese Umlenkung und der Verlust an Sichtbarkeit werde durch den Rückgang der Traffic-Ströme und der Klickrate empirisch belegt. Einzig plausibler Grund dafür sei die durch die NGP-Box verringerte Visibilität des generischen Suchergebnisses von NetDoktor.de. Dabei spiele es entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten keine Rolle, wie sich das Ranking der Verfügungsklägerin oder ihr Gesamt-Traffic nominal entwickelt habe. Eine relevante Aussage sei hingegen der plötzlichen „Schere“ zwischen Anzahl der Impressionen und der Klickzahl zu entnehmen, die sich in der Klickrate wiederspiegele.
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Die Verfügungsklägerin erleide hierdurch auch laufend Qualitätsverluste. Aufgrund der negativen Entwicklung müsse die Verfügungsklägerin wegen der bereits erfolgten Reichweitezusagen an Werbekunden und den rückläufigen Seitenaufrufen auf Kompensationsmechanismen zurückgreifen, die laufend die Qualität ihres Werbedienstes verringere. Werbeanzeigen müssten dann für weniger relevante Unterseiten geschaltet werden. Die Themennähe gehe also verloren, es komme zu Streuverlusten.
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Das NGP des Bundes habe gleichzeitig einen sprunghaften Zuwachs bei der Sichtbarkeit verzeichnet, die z.B. am 13.11.2020 mehr als 200 % über dem Wert des Vortags gelegen habe. Inzwischen sei das NGP bei den generischen Suchergebnissen noch weiter aufgestiegen. Für die Suchanfrage „weißer Hautkrebs“ werde das NGP beispielsweise seit Anfang Januar 2021 bereits an Position 4 auf der ersten Suchergebnisseite gelistet. Damit stehe das NGP derzeit in direktem Wettbewerb um die Position, die das seit langem etablierte, hochqualitative Gesundheitsportal … einnehme.
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Hierfür seien sekundäre Effekte verantwortlich. Indem die Nutzer auf die innerhalb der Infoboxen platzierten Verlinkungen zum NGP klickten, würden Relevanzsignale erzeugt, die vom lernenden …-Algorithmus in bessere Rankings übersetzt würden. Die Langzeitfolge werde sein, dass das NGP irgendwann auch als erstes genetisches und damit vermeintlich relevantestes Suchergebnis erscheine. Wenn die Verfügungsbeklagte argumentiere, dass die Infoboxen einschließlich etwaiger Klicks dort vollständig losgelöst von dem allgemeinen …-Algorithmus funktionierten, blende sie aus, dass eine Zunahme an Seitenaufrufen, egal aus welcher Quelle, sich durchaus positiv auf das Ranking auswirkt – letzteres ist unstreitig.
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Dabei bewerte …die Inhalte der Verfügungsklägerin nicht als weniger relevant, sondern die bessere Platzierung und damit der Wettbewerbsvorteil des NGP werde durch Umgehung der allgemeinen Relevanz-Algorithmen erreicht. Es sei äußerst schwierig, Rankingverlusten mit effektiven Gegenmaßnahmen zu begegnen, weshalb eine Wiederbelebung des Wettbewerbs auch bei Abstellen der Infoboxen irgendwann nicht mehr möglich sein werde. Eine Kompensation für den umgeleiteten Such-Traffic durch Nutzung von …Ads-Textanzeigen oder mobile Apps sei für werbefinanzierte Gesundheitsportale finanziell nicht möglich. Der ausbleibende Nutzer-Traffic werde zu einer Abwärtsspirale bei programmatischen Anzeigen und Keyword-Targeting durch die Werbekunden der unabhängigen Gesundheitsportale führen und damit ihre Finanzierung gefährden. Bereits jetzt müsse die Verfügungsklägerin den abnehmenden Nutzer-Traffic für die für 2021 abgeschlossenen Werbeverträge berücksichtigen, indem sie den negativen Trend in die Berechnung der von ihr gegenüber ihren Werbekunden geschuldeten Anzahl an Ausspielungen von Werbeanzeigen einfließen lasse.
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Die Verfügungsklägerin erleide so einen Wettbewerbsnachteil, weswegen auch die Dringlichkeit zu bejahen sei. Einige große Werbekunden der Verfügungsklägerin hätten dieser bereits mitgeteilt, dass sie Budgets zu …Ads-Textanzeigen verschieben könnten oder sogar müssten.
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Eine Freistellung der Vereinbarung nach § 2 GWB, Art. 101 Abs. 3 AEUV kommt nach Auffassung der Verfügungsklägerin nicht in Betracht. Etwaige Effizienzgewinne seien von der Verfügungsbeklagten nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Diese gebe es auch nicht, da die Inhalte der Infoboxen nicht verlässlicher seien als die ohnedies schnell und einfach zugänglichen Gesundheitsinformationen im Netz. Überdies wären die Beschränkungen jedenfalls nicht unerlässlich. Unter anderem hätte für den angeblich gewünschten Effekt, lediglich einen ersten verlässlichen Eindruck zu einem bestimmten Krankheitsbild zu vermitteln, auch eine weniger ausführliche Darstellung von Inhalten genügt, bei der eine vollständige Befriedigung des Informationsbedarfs der Nutzer weniger wahrscheinlich wäre. Auch eine Verlinkung (ausschließlich) auf das NGP wäre zu diesem Zweck nicht notwendig.
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Die Verfügungsklägerin stützt ihren Unterlassungsanspruch daneben auch auf §§ 8 Abs. 1, 3, 4 Nr. 4 UWG. Sie meint, durch die Infoboxen behindere die Verfügungsbeklagte die Verfügungsklägerin in unlauterer Weise.
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Die Verfügungsklägerin beruft sich schließlich auch auf einen Unterlassungsanspruch aus § 33 Abs. 1 GWB i.V.m. § 19 GWB, Art. 102 AEUV, § 830 BGB wegen Mittäterschaft der Verfügungsbeklagten zum Marktmissbrauch durch … In diesem Zusammenhang führt sie aus, …missbrauche seine marktbeherrschende Stellung auf dem Suchmaschinenmarkt, indem …durch eine Diskriminierung der Verfügungsklägerin und anderer konkurrierender Portale, durch eine Selbstbegünstigung und unzulässige technische Koppelung von Suchdienst und Infoboxen als zwei verschiedenen Produkten die Gefahr wettbewerbswidriger Effekte, insbesondere auf dem Markt für Gesundheitsportale, hervorrufe. Eine objektive Rechtfertigung hierfür fehle. Die Verfügungsbeklagte sei Teilnehmerin an diesen Verstößen i.S.d. § 830 BGB.
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Die Verfügungsklägerin hatte zunächst folgende Anträge schriftsätzlich angekündigt:
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1. Die Verfügungsbeklagte hat es zu unterlassen, eine Vereinbarung oder sonstige Zusammenarbeit durchzuführen, nach der die …Ireland Ltd. („…“) in den Suchergebnisseiten ihres allgemeinen Suchdienstes für die Positionierung und Darstellung von Inhalten der unter https://gesund.bund.de von der Verfügungsbeklagten bereitgestellten Webseite oder bei Verlinkung hierauf andere Prozesse und Methoden anwendet, als von …für Inhalte der Webseite der Verfügungsklägerin (www…de) oder bei Verlinkung hierauf angewendet werden, insbesondere, wenn dies durch eine den Inhalten der Webseite der Verfügungsbeklagten (https://gesund.bund.de) vorbehaltene Anzeige von Knowledge Panels mit Gesundheitsinformationen und einer Verlinkung erfolgt, wie in nachfolgenden Screenshots vom 24.11.2020 beispielhaft dargestellt… [es folgen die unten unter Ziff. 1 abgedruckten Screenshots].
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2. Die Verfügungsbeklagte hat es zu unterlassen, ein Gesundheitsportal mit journalistisch-redaktionell aufgearbeiteten medizinischen Inhalten bereitzustellen, zu verbreiten/verbreiten zu lassen und/oder öffentlich zugänglich zu machen/machen zu lassen, insbesondere soweit das Gesundheitsportal ohne einen konkreten Anlass aufgrund einer Gefährdung der Gesundheit der Bevölkerung allgemein zu Gesundheitsthemen informiert und insbesondere wenn dies geschieht, wie am 26. November 2020 im Internet unter der Domain https://gesund.bund.de abrufbar.
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3. Der Verfügungsbeklagten wird angedroht, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die in Ziffer 1 bis 2 ausgesprochenen Verpflichtungen ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten festgesetzt werden kann.
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Den Antrag zu Ziffer 2) hat die Verfügungsklägerin aufgrund des Hinweises der Kammer vom 30.11.20 (Bl. 122 d.A.) mit Schriftsatz vom 11.12.2020 (Bl. 142 d.A.) zurückgenommen. Den Antrag zu Ziffer 1) hat die Verfügungsklägerin in der mündlichen Verhandlung vom 20.01.2021 teilweise zurückgenommen und beantragt nunmehr:
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1. Die Verfügungsbeklagte hat es zu unterlassen, der …Ireland Ltd. Inhalte des Portals gesund.bund.de zu dem Zweck zur Verfügung zu stellen sowie deren Verwendung zu dem Zweck zu gestatten, diese in Knowledge Panels mit Gesundheitsinformationen anzuzeigen oder dies zu dulden, wenn dies geschieht wie durch die den Inhalten der Webseite der Verfügungsbeklagten (https://gesund.bund.de) vorbehaltene Anzeige von Knowledge Panels mit Gesundheitsinformationen und einer Verlinkung, wie in nachfolgenden Screenshots vom 24.11.2020 beispielhaft dargestellt:
Desktop-Endgeräte:
Mobile-Endgeräte:
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2. Der Verfügungsbeklagten wird angedroht, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die in Ziffer 1 ausgesprochene Verpflichtung ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten festgesetzt werden kann.
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Die Verfügungsbeklagte beantragt die Zurückweisung des Antrags.
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Sie ist der Auffassung, dass der Rechtsstreit an das zuständige Verwaltungsgericht zu verweisen sei. Das NGP sei ein kompetenziell abgesichertes regierungsamtliches Informationshandeln und damit eine hoheitliche Tätigkeit, die der kartell- und lauterkeitsrechtlichen Prüfung entzogen sei.
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Die Verfügungsbeklagte rügt zudem die Unbestimmtheit des Antrags zu Ziffer 1).
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Zur Sache führt die Verfügungsbeklagte aus, sie werde bei dem Betrieb des NGP nicht als Unternehmen i.S.d. Kartellrechts, sondern hoheitlich tätig. Die bloße Inanspruchnahme technischer Mittel, die auch Private nutzten, mache den Betrieb des Portals nicht zu einer wirtschaftlichen Tätigkeit. Im NGP werden regierungsamtliche Informationen bereitgestellt, die werbe- und kostenfrei seien und nicht erwerbswirtschaftlichen Zwecken dienten, sondern der Stärkung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung.
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Ferner gebe es keine Vereinbarung, Kooperation oder sonstige Zusammenarbeit mit … habe sich eigenständig zur Bereitstellung von Gesundheitsinformationen in Infoboxen entschieden und sei für die Auswahl der Inhalte allein verantwortlich. Dies werde durch die Tatsache belegt, dass von den 215 abrufbaren Artikeln zu Krankheiten lediglich 163 in den Knowledge Panels dargestellt werden. Die Wortwahl des Bundesministers für Gesundheit sei insofern möglicherweise missverständlich. Man habe sich jedoch keineswegs darüber geeinigt, private Anbieter von Gesundheitsinformationen zu benachteiligen oder die Infoboxen für Inhalte des NGP zu reservieren. Dies gehe auch aus der Aussage des Ministers hervor, dass man sich auch über andere Suchdienste freue, welche die Darstellung der Inhalte des NGP genauso möglich machten. Zu diesem Zweck habe die Verfügungsbeklagte auch eine neutrale Suchmaschinenoptimierung von der Initiative „schema.org“ gewählt, die von verschiedenen Suchmaschinenherstellem entwickelt wurde, nicht nur von …
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Die Verfügungsbeklagte ist ferner der Auffassung, es liege weder eine bezweckte noch eine bewirkte Wettbewerbsbeschränkung vor.
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Soweit es zwischen der Verfügungsbeklagten und …zu einem – vertraglich nicht geschuldeten – Austausch von Leistungen komme, profitiere dieser, so meint die Verfügungsbeklagte, vom Immanenzgedanken, wonach mit dem reinen Austausch von Leistungen verbundene Beschränkungen nicht dem Kartellverbot unterfallen. Es sei vielmehr dem Leistungswettbewerb immanent, dass der erfolgreiche Absatz von Produkten oder Dienstleistungen die entsprechenden Absatzmöglichkeiten von Wettbewerbern einschränke, so dass nicht jeder Exklusivbindung eines Lieferanten zu Lasten anderer Nachfrager ein kartellrechtlicher Unwertgehalt zukomme. Auch könnten sich Alleinvertriebsverträge dem Zugriff des Kartellrechts entziehen, wenn sie für eine kleine Einheit – hier die Verfügungsbeklagte – das einzige Mittel seien sichtbar zu werden, wie hier neben den etablierten Gesundheitsportalen.
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Sie begründet die fehlenden wettbewerblichen Auswirkungen ferner mit einem Verweis auf das – unstreitig – weiterhin gute Ranking und den fehlenden Rückgang der nominalen Zugriffszahlen auf die Webseite der Verfügungsklägerin. Die von der Verfügungsklägerin dargestellten Zahlen stellten nur Momentaufnahmen dar. Etwaige Rückgänge der Klickrate seien allenfalls marginal und gingen nicht auf das NGP zurück. Die von der Verfügungsklägerin angeführten Erklärungen für den Traffic Rückgang seien reine Spekulation, eine Umleitung des Traffics zum NGP nicht glaubhaft gemacht. Wahrscheinlicher sei, dass etwaige Schwankungen durch den hohen Wettbewerb auf dem Markt der privaten Gesundheitsportale verursacht würden. Dies belegten Schwankungen in der Sichtbarkeit, also dem Ranking, des Portals der Verfügungsklägerin schon vor Einführung des NGP und der Infoboxen. Der „Kuchen“ für Anzeigenplätze auf Gesundheitsportalen werde durch das Zusammenwirken der Verfügungsbeklagten mit …überdies nicht kleiner.
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Die Infoboxen ersetzten oder verdrängten keinesfalls die privatwirtschaftlichen Angebote. Wer sich für Gesundheitsinformationen im Netz interessiere, nutze so gut wie immer mehrere Informationsquellen. Das NGP ergänze insoweit lediglich das bestehende Angebot. Das Ziel des NGP sei allein die Stärkung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung, die ausweislich verschiedener Studien und Umfragen (u.a. Studie der AOK, Anlage B3 zum Schriftsatz v. 18.01.2021, Umfrage der Bertelsmann Stiftung, Anlage B2 zum Schriftsatz v. 12.01.2021) insbesondere bei den Menschen im hohen Alter, Menschen mit chronischen Erkrankungen, einem geringen Bildungsstatus oder Migrationshintergrund verbessert werden müsse. Das NGP solle nicht presseähnlich ausgestaltet werden und vom Publikum als Konkurrenz zu seriösen privatwirtschaftlichen Angeboten mit Gesundheitsinformationen aufgefasst werden. Diese Beschränkung werde durch die zunächst umfassend formulierte Ausschreibung nicht in Frage gestellt. Dass das NGP selbstverständlich kompetentes journalistisches Personal benötige, das in der Lage sei, die bereitgestellten Informationen verständlich und gleichzeitig mit hoher Qualität aufzubereiten und darzubieten, sei kein Widerspruch. Staatliches Informationshandeln sei schließlich auch in presseähnlicher Form zulässig. Nach der Konzeption des NGP sollten amtliche Basisinformationen zu Gesundheitsthemen bereitgestellt werden, die neutral, sachlich und evidenzbasiert seien. Wer sich dagegen für Themen wie Homöopathie interessiere, könne andere Informationsmöglichkeiten wie das Portal der Verfügungsklägerin zurate ziehen.
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Durch die Infoboxen werde, so behauptet die Verfügungsbeklagte, keinerlei Einfluss auf den Algorithmus für das Ranking genommen, da durch sie keine unmittelbaren Seitenaufrufe des NGP generiert würden. Eine Einflussnahme auf den Algorithmus sei auch gar nicht notwendig, da die Infoboxen mit den Gesundheitsinformationen ja ohnehin stets rechts oben auf der Suchergebnisseite eingeblendet werden. Die Infoboxen enthielten die wesentlichen Informationen zu Gesundheitsthemen. Sie seien so umfassend, dass viele Nutzer nicht auf den Link in der Box klicken würden. Die Verfügungsbeklagte rangiere daher auch nach wie vor weit unten auf der Suchergebnisliste.
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Wenn die von der Verfügungsklägerin vorgetragenen sekundären Effekte zu erwarten wären, hätten sie schon aufgrund der von …bereits seit 2019 angezeigten „FAQ“-Listen, die Informationen von ganz verschiedenen Informationsseiten und Portalen enthielten, eintreten müssen. Tatsache sei aber, dass die Anbieter der in den FAQ enthaltenen Beiträge nach wie vor weit hinter der Verfügungsklägern gelistet werden. Etwas anderes sei auch aufgrund der Infoboxen nicht zu erwarten – wenn überhaupt könne sich ein Effekt erst nach Jahren bemerkbar machen. Die Verfügungsbeklagte beruft sich für diese Behauptung auf eine Studie, der zufolge diejenigen Webseiten, die den ersten Platz in den …Suchergebnissen einnehmen, ganz überwiegend fast 3 Jahre alt seien.
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Die Verfügungsbeklagte ist der Auffassung, eine nachteilige Auswirkung auf das Interesse der Werbekunden, bei der Verfügungsklägerin Werbung zu schalten, sei nicht zu erwarten, zumal die Verfügungsbeklagte nicht mit ihr um Werbekunden konkurriere.
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Jedenfalls wäre die – bestrittene – Vereinbarung zwischen der Verfügungsbeklagten und …zwanglos gem. § 2 GWB vom Kartellverbot freigestellt. Das Zusammenwirken führe zu einem Effizienzgewinn, denn es reduziere den Suchaufwand der Verbraucher nach vertrauenswürdigen Gesundheitsinformationen. Es schaffe ein stärker auf die Nutzerbedürfnisse zugeschnittenes Angebot und leiste einen erheblichen Beitrag für mehr Gesundheitskompetenz und -aufklärung der Bürger im digitalen Zeitalter. Hierzu sei ein Zusammenwirken der Verfügungsbeklagten mit …über eine Schnittstelle notwendig, um den Verbrauchern zielgerichtet die Inhalte des NGP zur Verfügung zu stellen. Hierdurch könne der Verbraucher die besonders wesentlichen Informationen des NGP schneller finden. Zu einem Ausschluss des Wettbewerbs komme es hierdurch nicht.
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Die Verfügungsbeklagte hält das Verhalten von …auch nicht für einen Missbrauch von Marktmacht. Jedenfalls fehle es an den Voraussetzungen für eine Zurechnung dieses Verhaltens nach § 830 BGB in Bezug auf die Verfügungsbeklagte.
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Sie bestreitet in diesem Zusammenhang, dass …eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für allgemeine Suchmaschinen innehabe. Seit den Entscheidungen der Kommission, aus denen die Verfügungsklägerin die Marktverhältnisse entnimmt (…Search (Shopping) und …Adroid), seien zwei bzw. drei Jahre vergangen. Die Entscheidungen hätten zudem keine Bindungswirkung oder Präzedenzcharakter.
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Das NGP und die Verfügungsklägerin seien keine Wettbewerber auf dem Markt für Gesundheitsportale. Auf diesem Markt sei die Verfügungsbeklagte nicht tätig, was schon daraus folge, dass sie nicht werbefinanziert und damit nicht Teil des zweiseitigen Portalmarktes sei. Darüber hinaus seien die Informationen der jeweiligen Portale nicht austauschbar. Das NGP versorge die Bürgerinnen und Bürger lediglich mit Basisinformationen über bestimmte Krankheitsbilder und Gesundheitsthemen und wolle so eine grundlegende Aufklärung der Bevölkerung sicherstellen. Kommerzielle Gesundheitsinformationen seien viel detaillierter und tiefgehender aufgearbeitet. Während es der Verfügungsbeklagten darum gehe, die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung zu stärken, gehe es der Verfügungsklägerin primär um die Generierung von Nutzer-Traffic und Werbeeinahmen.
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…behindere oder diskriminiere private Gesundheitsportale nicht. …könne frei entscheiden, wie es die Infoboxen zu Gesundheitsthemen gestalte. Bei einer Interessenabwägung überwiegen die grundrechtlich geschützte Vertriebsgestaltungsfreiheit von …und die Interessen der Verfügungsbeklagten an der Verbreitung ihrer amtlichen Gesundheitsinformationen.
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Lauterkeitsrechtliche Ansprüche scheiterten daran, dass die Verfügungsbeklagte bei dem Betrieb des NGP hoheitlich und nicht geschäftlich tätig werde. Auch sei der Grundsatz der Staatsferne der Presse dadurch nicht verletzt, da die Information zur Förderung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung geeignet und erforderlich sei und das Portal sich auf sachliche, nicht meinungsbildende Artikel beschränke. Das NGP sei als staatliche Publikation eindeutig erkennbar. Darüber hinaus liege keine gezielte Behinderung eines Mitbewerbers vor. Hierzu fehle es bereits an einem konkreten Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parteien. Auch habe die Verfügungsbeklagte nicht die Absicht, andere vom Markt zu verdrängen.
54
Schließlich fehle es auch an der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderlichen Dringlichkeit. Auf Seiten der Verfügungsklägerin drohe kein unwiederbringlicher Rechtsverlust. Demgegenüber würde der Erlass einer für die Verfügungsbeklagte nachteiligen Verfügung einen erheblichen Reputationsschaden des NGP, der Verfügungsbeklagten und des Bundesministers für Gesundheit nach sich ziehen. Das NGP würde erheblich und unwiderruflich an Sichtbarkeit verlieren, da es im Ranking der allgemeinen Suchergebnisse weit hinten rangiere. Die Sichtbarkeit in Suchmaschinen sei aber für die Zweckerfüllung des Portals essenziell. Eine Untersagung der Infoboxen würde einen negativen Eindruck in der Bevölkerung wecken und so den Zweck des Portals, vertrauenswürdige Gesundheitsinformationen bereitzuhalten und unseriöse Gesundheitsportale zu bekämpfen, konterkarieren.
55
Auf die weiteren Ausführungen der Parteien in den wechselseitigen Schriftsätzen samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.01.2021 wird Bezug genommen. Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Verfügungsbeklagten vom 26.01.2021 gab keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, § 156 ZPO. Rechtsauffassungen wurden gewürdigt.

Entscheidungsgründe LG München I, Endurteil v. 10.02.2021 – 37 O 15721/20

56
Der Antrag zu Ziffer 1) der Verfügungsklägerin ist zulässig und überwiegend begründet. Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund liegen vor. Die Verfügungsklägerin hat daher einen Unterlassungsanspruch im tenorierten Umfang aus § 33 Abs. 1 GWB i.V.m. § 1 GWB, Art. 101 Abs. 1 AEUV.
I.
57
1. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist für den vorliegenden Rechtsstreit eröffnet.
58
Der Rechtsstreit ist als Kartellrechtsstreitigkeit i.S.d. § 87 Abs. 1 GWB eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit gem. § 13 GVG.
59
Für die Zulässigkeit des Rechtswegs bei der Klage gegen wettbewerbliches Handeln der öffentlichen Hand ist auf die privatrechtliche Zuordnung des geltend gemachten Anspruchs abzustellen (Immenga/Mestmäcker/Schmidt, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2020, § 87 Rn. 6 m.w.N.). Die Verfügungsklägerin macht hier einen Unterlassungsanspruch gem. § 33 Abs. 1 GWB i.V.m. § 1 GWB, Art. 101 Abs. 1 AEUV geltend. Diese Normen sind für den Streitfall entscheidungserheblich. Kartellrechtsstreitigkeiten i.S. von § 87 Abs. 1 Satz 1, insbesondere alle Klagen auf Unterlassung oder Schadensersatz nach § 33 GWB, stellen bürgerliche Rechtsstreitigkeiten dar (vgl. auch LG München I Endurteil v. 31.7.2019 – 37 O 8496/18, GRUR-RS 2019, 19292 Rn. 24, 25, beck-online; Immenga/Mestmäcker/Schmidt, a.a.O.).
60
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Verfügungsbeklagten zuletzt vorgelegten Beschluss des Landgerichts Hamburg v. 21.01.2021 (324 O 462/20), denn anders als dort geht es vorliegend nicht um konkrete Inhalte des NGP, die vor dem Hintergrund ihrer öffentlich-rechtlichen Funktion zu beurteilen wären, sondern um die Platzierung des Portals im Wettbewerb.
61
2. Der Antrag zu Ziffer 1) der Verfügungsklägerin ist zulässig, insbesondere ist er in der zuletzt gestellten Form hinreichend bestimmt. Die insoweit aufgeworfenen Bedenken der Verfügungsbeklagten wurden teilweise schon durch die neue Fassung ausgeräumt. Soweit die Verfügungsbeklagte Zweifel geäußert hat, welche Formen der Zusammenarbeit unterbunden werden sollen, wird nunmehr klargestellt, dass es um die Bereitstellung von Informationen zum Zwecke der Anzeige in der Verfügungsbeklagten vorbehaltenen Infoboxen mitsamt einer Verlinkung geht. Auch wird die Vermittlung von anlassbezogenen Warnungen im Rahmen von Pandemien angesichts der Bezugnahme auf die Infoboxen und die aus den Screenshots ersichtliche konkrete Verletzungsform von dem Wortlaut des Antrags erkennbar nicht erfasst.
62
3. In der Änderung des Antrags zu Ziff. 1) lag keine Klageänderung, sondern eine Beschränkung des zunächst gestellten Antrags auf die konkrete Verletzungshandlung, § 264 Nr. 2 ZPO, verbunden mit einer zulässigen Teilklagerücknahme im Übrigen, § 269 Abs. 1 ZPO. Ebenso stellt die Rücknahme des Antrags zu Ziff. 2) eine zulässige Teilklagerücknahme i.S.d. § 269 Abs. 1 ZPO dar. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung kann jederzeit auch nach Beginn der mündlichen Verhandlung ohne Einwilligung der Gegenseite zurückgenommen werden (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.07.1982 – 2 U 54/82 – NJW 1982, 2452; Musielak/Voit, ZPO, 17. Auf. 2020, § 269 Rn. 22).
II.
63
Die Verfügungsklägerin hat gegen die Verfügungsbeklagte einen Anspruch darauf, dass sie es unterlässt, der …Ireland Ltd. Inhalte des NGP zum Zwecke der Einbindung und Verlinkung in Infoboxen mit Gesundheitsinformationen zur Verfügung zu stellen, § 33 Abs. 1 GWB i.V.m. § 1 GWB, Art. 101 Abs. 1 AEUV. Soweit die Verfügungsklägerin darüber hinaus beantragt hat, die bloße Duldung einer solchen Gestaltung durch …zu unterlassen, ist der Antrag unbegründet.
64
1. In der Kooperation der Verfügungsbeklagten mit …liegt eine Vereinbarung zwischen Unternehmen, die eine Einschränkung des Wettbewerbs bewirkt, Art. 101 Abs. 1 AEUV, § 1 GWB.
65
a. Die Verfügungsbeklagte hat mit …eine Vereinbarung geschlossen mit dem Inhalt, dass die von …geplanten Infoboxen zu Gesundheitsthemen auf Dauer exklusiv mit Inhalten aus dem Gesundheitsportal der Verfügungsbeklagten und einem Link auf das Portal gesund.bund.de befüllt werden.
66
(1) Eine Vereinbarung kommt bereits dann zustande, wenn eine grundsätzliche Willensübereinstimmung zwischen zwei Parteien erreicht ist. Weder eine Regelung sämtlicher Details noch ein Interessengleichlauf der Beteiligten sind erforderlich (Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 68).
67
Das Merkmal der Vereinbarung wird unproblematisch durch zivilrechtliche Verträge erfüllt, d.h. im Falle einer Bindung zweier Parteien durch übereinstimmende Willenserklärungen. Ausreichend ist aber daneben insbesondere nach der Rechtsprechung der europäischen Gerichte auch, dass die Parteien ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck bringen, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten, und zwar auch ohne dass sie sich hierzu rechtlich, tatsächlich oder moralisch verpflichtet fühlen (Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 71 m.w.N.).
68
(2) Getragen von einem derartigen gemeinsamen Willen haben der Vertreter von …, … und der Bundesminister für Gesundheit auf der gemeinsamen Pressekonferenz vom 10.11.2020 klar erkennen lassen, künftig bei der Erstellung von Infoboxen zu Gesundheitsthemen auf der Suchergebnisseite von …exklusiv zusammenarbeiten zu wollen. Der Vertreter von …und der Bundesminister für Gesundheit haben dabei mehrfach ausdrücklich von ihrer Zusammenarbeit bzw. Kooperation gesprochen. Gegenstand dieser Kooperation sollte es nach der übereinstimmenden Darstellung der beiden sein, dass auf der Suchergebnisseite von …künftig bei einer Suche nach medizinischen Stichworten Antworten des NGP in einem prominent hervorgehobenen Infokasten präsentiert werden. Der Bundesminister für Gesundheit hat dabei auch wiederholt deutlich seine Dankbarkeit für diese Kooperation und für die künftige prominente Darstellung der Information des NGP und die Verlinkung gegenüber …zum Ausdruck gebracht.
69
Mit diesen Äußerungen ist die Behauptung der Verfügungsbeklagten, es gebe keine Vereinbarung zwischen der Verfügungsbeklagten und …, die über die Gewährung der Nutzung einer Schnittstelle hinausginge, in keiner Weise in Einklang zu bringen. Selbst wenn man annehmen will, dass die Spitzen von …und der Verfügungsbeklagten sich hier werbend oder untechnisch ausgedrückt haben, erklärt dies nicht, worauf die medienwirksam verkündete Zusammenarbeit beruhen soll, wenn nicht auf einer Übereinkunft der Beteiligten. Schon der gemeinsame Presseauftritt setzt voraus, dass die Parteien sich darüber ins Benehmen gesetzt haben, dass und was sie gemeinsam verkünden werden. Das Ergebnis war nicht die Verkündung der Nutzungsmöglichkeit einer Schnittstelle. Vielmehr wurde die beiderseitige Freude darüber zum Ausdruck gebracht, dass die beiden Beteiligten ganz grundsätzlich zusammen dafür sorgen werden, dass die Inhalte des NGP – und nur diese – in den Infoboxen bereitgestellt werden und diese auf die Webseite gesund.bund.de verlinken.
70
Auch die Ausschließlichkeit dieser Kooperation kommt in der Pressekonferenz zum Ausdruck: eine vergleichbare Kooperation Googles mit anderen Gesundheitsportalen wird nicht angekündigt. Diese Ausschließlichkeit stellt auch die Verfügungsbeklagte nicht grundsätzlich in Abrede. Sie beruft sich lediglich darauf, dass auch andere Suchmaschinen die Schnittstelle des NGP nutzen könnten, was aber die fehlende Teilhabe anderer Gesundheitsportale nicht mindern sondern eher noch ausweiten würde, und dass es Infoboxen mit Inhalten anderer Portale geben könne, was hier nicht zur Debatte steht, zumal es die Position „0“ eben nur einmal gibt.
71
Soweit die Verfügungsbeklagte anführt, die – bestrittene – Zusammenarbeit sei jedenfalls nicht auf eine gewisse Dauer ausgelegt, steht diese Behauptung in einem diametralen Widerspruch zu der Art der Kooperation, welche auf der Pressekonferenz verkündet wurde. Richtig erscheint zwar, dass keine konkrete Dauer vereinbart wurde. Unzweifelhaft war die Zusammenarbeit aber auf Dauer angelegt.
72
Der klar artikulierte Sinn und Zweck der Kooperation bestand nach der unwidersprochenen Äußerung des Bundesministers für Gesundheit darin, das NGP als maßgebliche Anlaufstelle für Gesundheitsinformationen im Netz zu etablieren. Die Verfügungsbeklagte geht dabei – auch für ihren Vertragspartner erkennbar – davon aus, dass die Zusammenarbeit dem NGP diese Position verschaffen werde, also zumindest so lange dauern werde, bis das NGP im Wettstreit um die Sichtbarkeit im Netz gegenüber anderen, privaten Anbietern einen maßgeblichen Vorteil erlangt hat. Immerhin versprach sich der Bundesminister für Gesundheit von der Zusammenarbeit: „Wer Gesundheit googelt, soll auf unserem Portal des Bundes landen“ und „Gesundheit.bund.de soll die zentrale Anlaufstelle werden für verlässliche Gesundheitsinformationen im Internet“. Die Verfügungsbeklagte hat die Kooperation folglich keinesfalls so verstanden – und dies geht auch aus den Äußerungen des Vertreters von …… nicht hervor -, dass die Zusammenarbeit nur von kurzer Dauer sein soll. Dagegen spricht auch der jedenfalls nicht völlig unbedeutende Aufwand, den das Ministerium mit der Erstellung gesonderter Texte und digitaler Markups betrieben hat, um die Übernahme der Inhalte in den Infoboxen zu ermöglichen. Übereinstimmend teilten zudem auch beide Vertragspartner mit, dass man zunächst mit 160 Krankheitsbegriffen starte und dies weiter auszubauen gedenke. Nichts deutet dabei auf eine nur kurz- oder mittelfristige Kooperation hin.
73
b. Die Verfügungsbeklagte ist im Zusammenhang mit dem Betrieb des Portals gesund.bund.de als Unternehmen einzustufen.
74
(1) Dabei ist von einem funktionalen Unternehmensbegriff auszugehen, dessen Inhalt aus dem Normzusammenhang und den Zwecken der Wettbewerbsvorschriften zu bestimmen ist. Danach gilt jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung als Unternehmen im Sinne des Kartellrechts (EuGH 23.4.1991, Rs. C-41/90, Slg. 1991, I-1979 Rn. 21 „Höfner und Elser“; EuGH 10.9.2009, Rs. C-97/08 P, Slg. 2009, I-8237 Rn. 54 „Akzo Nobel“; Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 9).
75
Ein wirtschaftliches Handeln liegt grundsätzlich in jeder selbständigen Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen gegen Entgelt auf einem bestimmten Markt anzubieten (vgl. OLG Düsseldorf NZKart 2017, 247, 250 m.w.N.). Entscheidender Gesichtspunkt ist dabei nicht, ob das Unternehmen, dessen Normadressateneigenschaft zu beurteilen ist, ein Entgelt erhebt; entscheidend ist, ob im räumlich und sachlich relevanten Markt, der von einer Wettbewerbsbeschränkung betroffen ist, die in Frage stehende Leistung üblicherweise gegen Entgelt angeboten wird – dann ist auch der Erbringer einer unentgeltlichen Leistung Unternehmen und damit Normadressat des Art. 101 Abs. 1 AEUV (Bechtold/Bosch/Brinker/Bechtold/Bosch/Brinker, 3. Aufl. 2014, AEUV Art. 101 Rn. 14).
76
Keinen wirtschaftlichen Charakter, der die Anwendung des Kartellrechts rechtfertigen würde, haben dagegen Tätigkeiten, die in Ausübung hoheitlicher Befugnisse erfolgen (vgl. EuGH, Urteile v. 19. Januar 1994 – C-364/92, Slg. 1994, I-43 – SAT-Fluggesellschaft; OLG Düsseldorf NZKart 2017, 247, 250 m.w.N., beck-online). Soweit dagegen eine öffentliche Einheit eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, die von der Ausübung ihrer hoheitlichen Befugnisse losgelöst werden kann, handelt sie in Bezug auf diese Tätigkeit als Unternehmen (vgl. EuGH, Urteile v. 26. März 2009 – C-113/07, Slg. 2009, I-2207, Rzn. 71 ff. – Selex Sistemi Integrati/Kommission; v. 12. Juli 2012 – C-138/11, WuW/E EU-R 2472, Rz. 38 – Compass-Datenbank; OLG Düsseldorf a.a.O.).
77
(2) Der Betrieb von Gesundheitsportalen ist eine geschäftliche Tätigkeit, die darin besteht, eine Dienstleistung, nämlich die Bereitstellung von Informationen zu Gesundheitsfragen, für Nutzer im Internet anzubieten. Die unstreitig erhebliche Nachfrage nach diesem Angebot wird aktuell und wurde in der Vergangenheit von einer Vielzahl privater Anbieter wie beispielsweise der Verfügungsklägerin durch in der Regel werbefinanzierte Portale bedient.
78
Um ein solches Gesundheitsportal handelt es sich – abgesehen von der in diesem Zusammenhang unerheblichen Art der Finanzierung – auch bei dem Nationalen Gesundheitsportal. Dabei spielt es keine Rolle, dass das NGP sich im Vergleich zu anderen Angeboten im Netz möglicherweise einer einfacheren Sprache und einer besonders übersichtlichen Form bedient und weniger detailreich ist als andere Portale. Ob in der Ausblendung von Kontroversen wie etwa zum Thema Impfen eine größere Neutralität liegt, dürfte bereits fraglich sein. Es mag sich insoweit aber allenfalls um wettbewerbliche Besonderheiten handeln, die das Angebot der Verfügungsbeklagten von anderen abhebt. Jedenfalls gehen diese Besonderheiten nicht so weit, dass sie die Ähnlichkeiten zwischen den Portalen überlagern und das NGP zu etwas grundsätzlich anderem machen würden. Vielmehr überwiegen die Ähnlichkeiten der Portale ganz deutlich: wie andere Gesundheitsportale auch bietet das NGP unstreitig redaktionell aufbereitete Informationen zu Gesundheitsfragen aller Art, stellt Krankheiten dar und vermittelt Empfehlungen zur gesunden Lebensführung. Trotz der Unterschiede in der Aufmachung und des Umstands, dass auf dem Portal der Verfügungsklägerin Werbung geschaltet ist, ist angesichts der weitgehenden inhaltlichen Gleichartigkeit und der übereinstimmenden erklärten Zielsetzung der Portale, den Bürger über Gesundheitsfragen aufzuklären, daher von einer funktionalen Austauschbarkeit der Portale aus Sicht der Marktgegenseite – Verbraucher auf der Suche nach Gesundheitsinformationen im Internet – auszugehen. Hiervon ging auch die Verfügungsbeklagte im Rahmen der Auftragsvergabe aus, wenn sie ausführte, mit dem NGP „eine signifikante Lücke auf dem bisher vorrangig kommerziell geprägten Markt der digitalen Gesundheitsinformationen im deutschsprachigen Internet schließen“ zu wollen (vgl. Anlage K19, S. 7). Dass das Portal der Verfügungsbeklagten im Detail eine andere Zielsetzung haben mag als die Verfügungsklägerin, ist unerheblich, solange es sich wie hier nicht auf die Austauschbarkeit aus Sicht der Marktgegenseite auswirkt. Auch die Ansicht der Verfügungsbeklagten, das NGP ersetze nicht, sondern ergänze vielmehr das bestehende Angebot, da Nutzer stets mehrere Portale besuchten, bestätigt diese Einschätzung: aufgrund einer möglicherweise bestehenden sprachlichen und inhaltlichen Reduzierung setzt das NGP andere Schwerpunkte als andere Portale, spricht jedoch letztlich dieselben Verkehrskreise an, zumal wenn diese ihre Suche ohnehin regelmäßig breit aufstellen. Schließlich spricht nicht zuletzt der Umstand, dass beide Portale in der …-Suche den Nutzern alternativ zur Befriedigung des gleichen Informationsbedürfnisses angeboten werden, für ihre funktionale Austauschbarkeit.
79
Der Betrieb von Gesundheitsportalen ist in der Vergangenheit nicht ausschließlich durch öffentliche Einrichtungen erfolgt und muss auch nicht generell notwendigerweise durch solche Einrichtungen erfolgen (vgl. EuGH Urteil vom 23.04.1991 – Rs C-41/90 – Rz. 22).
80
Die Inanspruchnahme von Gesundheitsportalen ist für den Nutzer zwar auch bei privaten, werbefinanzierten Portalen grundsätzlich gebührenfrei. Jedoch ist hier die Hinnahme von Werbung als Entgelt zu begreifen, so dass insoweit eine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt.
81
Die Verfügungsbeklagte beruft sich ohne Erfolg darauf, dass sie bei dem Betrieb des Gesundheitsportals gesund.bund.de öffentliche Aufgaben wahrnehme, nämlich Gesundheitsaufklärung leiste. Die Teilnahme am allgemeinen Geschäftsverkehr durch einen Träger hoheitlicher Gewalt verliert den Charakter einer geschäftlichen, den Bindungen des Kartellrechts unterliegenden Tätigkeit nicht schon deshalb, weil mit ihr auch öffentliche Aufgaben erfüllt oder öffentlichen Interessen genügt werden soll. Greift ein Hoheitsträger – wie hier – bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu den von der Privatrechtsordnung bereitgestellten Mitteln, unterliegt er den gleichen Beschränkungen wie jeder andere Teilnehmer am privatrechtlich organisierten Markt und hat dabei insbesondere die durch das Wettbewerbsrecht gezogenen Grenzen einer solchen Tätigkeit zu beachten (BGH WuW/E DE-R 289, 293 – Lottospielgemeinschaft).
82
c. Mit ihrer Kooperation bewirken die Verfügungsbeklagte und …eine Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Markt für Anbieter von Gesundheitsinformationen im Internet.
83
(1) Dabei ist, anders als die Verfügungsklägerin meint, nicht von einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung auszugehen. Der EuGH legt bei der Frage, ob eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, einen objektiven Maßstab an. Danach kommt es nicht auf die Absicht der Vertragspartner an – wenngleich diese als Indiz für die Eignung der Vereinbarung, den Wettbewerb zu beschränken, gewertet werden kann -, sondern auf eine objektive wettbewerbsbeschränkende Tendenz der zu beurteilenden Maßnahme. Damit ein wettbewerbswidriger Zweck festgestellt werden kann, muss die Koordinierung schon ihrer Natur nach schädlich für den Wettbewerb sein. Sie muss dafür in sich selbst eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen lassen, sodass eine Auswirkungsprüfung entbehrlich wird (Immenga/Mestmäcker/Zimmer, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 1 Rn. 130).
84
Eine solche objektiv schädliche Tendenz, die etwa bei horizontalen Preisabsprachen, Gebietsaufteilungen oder vertikalen Preisbindungen der zweiten Hand angenommen wurde, ist der Vereinbarung zwischen der Verfügungsbeklagten und …nicht immanent.
85
(2) Die Ausschließlichkeitsbindung ist daher anhand ihrer konkreten Auswirkungen zu beurteilen. Aufgrund der von der Verfügungsklägerin vorgetragenen und glaubhaft gemachten potentiellen und tatsächlichen Auswirkungen und der erklärten Zielsetzung der Vertragsparteien ist davon auszugehen, dass die Vereinbarung zwischen der Verfügungsbeklagten und …den Wettbewerb auf dem relevanten Markt tatsächlich spürbar beeinträchtigt.
86
(a) Bei der bewirkten Wettbewerbsbeschränkung stehen die tatsächlichen Auswirkungen, d.h. die objektiven Folgen der Vereinbarung auf dem Markt im Mittelpunkt. Wettbewerbsbeschränkende Wirkungen liegen vor, wenn die Vereinbarung zu einer Beschränkung des Wettbewerbs im Sinne einer Einschränkung der Handlungs- und Auswahlmöglichkeiten dritter Marktteilnehmer führt (MüKo WettbR/Säcker/Zorn, 3. Aufl. 2020, Art. 101 AEUV Rn. 274).
87
Für die Ermittlung der objektiven Folgen ist der Wirkungszusammenhang zwischen der Vereinbarung und der aktuellen Wettbewerbssituation zu untersuchen. Die Vereinbarung muss zumindest hypothetisch kausal für die herrschende Wettbewerbssituation sein. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine kontrafaktische Analyse vorzunehmen, d.h. eine Gegenüberstellung der aktuellen Wettbewerbssituation mit der hypothetischen Situation, die herrschen würde, wenn die Vereinbarung nicht durchgeführt worden wäre. Dabei sind nicht nur die tatsächlichen, sondern auch die potentiellen Auswirkungen auf den Wettbewerb zu berücksichtigen, zumindest in Situationen, in denen eine Vereinbarung noch gar nicht praktiziert wurde, und solchen, in denen eine Vereinbarung zwar schon praktiziert wurde, die Wirkungen, deren Eintritt sehr wahrscheinlich ist, aber noch nicht feststellbar sind. Dies trägt dem präventiven Charakter des Verbots Rechnung (MüKo WettbR/Säcker/Zorn, 3. Aufl. 2020, AEUV Art. 101 Rn. 275, 277).
88
(b) Die Handlungs- und Auswahlmöglichkeiten der Verfügungsklägerin sind durch die Vereinbarung der Verfügungsbeklagten mit …erheblich eingeschränkt, weil den Inhalten des NGP dauerhaft die bestmögliche Position auf der Ergebnisseite der …-Suche, nämlich die neu geschaffene, prominent hervorgehobene Position „0“ in der Infobox, vorbehalten ist, die Wettbewerbern damit von vornherein nicht zur Verfügung steht. Aus den nachfolgenden Gründen geht die damit verbundene Einschränkung weit über das hinaus, was im Sinne der Immanenztheorie jeder vertraglichen Bindung eigen ist:
89
Der relevante Markt ist hier der des Angebots von Gesundheitsportalen im Internet, auf dem die Verfügungsklägerin und die Verfügungsbeklagte als Anbieter wesentlich gleichartiger und aus Sicht der Marktgegenseite funktional austauschbarer Gesundheitsportale (s.o.) tätig sind. …ist mit einem Marktanteil von 90 % marktbeherrschende Anbieterin auf dem vorgelagerten Markt für die Erbringung allgemeiner Suchdienste in Deutschland. Diesen Marktanteil hat die Verfügungsbeklagte nicht substantiiert bestritten und auch nicht dargelegt, welche Änderungen des Suchmaschinenmarktes in den letzten zwei bis drei Jahren dazu geführt haben könnten, dass die Einschätzung der Kommission überholt wäre. Auf eine Bindungswirkung dieser Entscheidungen kommt es dabei nicht an.
90
Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Verfügungsklägerin finden die Nutzer ferner ihren Weg zu den Gesundheitsportalen in den allermeisten Fällen (88-90 %) über eine …-Suche. Die Betreiber von Gesundheitsportalen sind daher in besonderem Maße davon abhängig, auf der Suchergebnisseite der …-Suche eine gute Sichtbarkeit zu erzielen, um von den Nutzern angesteuert zu werden und so einen Nutzertraffic zu erzeugen, den sie wiederum mit dem Abschluss von Werbeverträgen monetarisieren können. Bisher stand den Portalbetreibern hierzu die Möglichkeit zur Verfügung, mit Wettbewerbsmitteln, nämlich entweder durch die Erstellung besonders relevanter Inhalte und weiterer Optimierungsmaßnahmen in Bezug auf das Ranking in den generischen Suchergebnissen, oder – jedenfalls theoretisch – durch den Kauf von Anzeigenplätzen ganz oben auf der Suchergebnisseite zu landen. Nunmehr existiert an prominenter Stelle neben bzw. vor den generischen Suchergebnissen die allein den Inhalten des NGP vorbehaltene Infobox, zu der die Wettbewerber der Verfügungsbeklagten auf dem Markt für Gesundheitsportale auf absehbare Zeit keinen Zugang haben.
91
Dass die Verfügungsklägerin hierdurch erhebliche Wettbewerbsnachteile befürchten muss, liegt auf der Hand. Ein zentrales Marketinginstrument wird dem Wettbewerb entzogen und der Verfügungsbeklagten durch eine festgelegte „Poleposition“ ein nicht anderweitig ausgleichbarer Wettbewerbsvorteil gewährt. Denn dass die Nutzer in erster Linie die obersten Ergebnisse auf der Suchergebnisseite zur Kenntnis nehmen, hat die Verfügungsklägerin zum einen durch die Ausführungen mit Bezugnahme auf verhaltensökonomische Erklärungen der Europäischen Kommission im Verfahren „…Search (Shopping)“ hinreichend glaubhaft gemacht. Zum anderen entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Verbraucher eher geneigt sind, die oberen Ergebnisse einer Suchanfrage anzusteuern. Nicht zuletzt ist es das erklärte Ziel der Vertragspartner, die Aufmerksamkeit der Nutzer durch die prominent hervorgehobenen Infoboxen auf die Inhalte des NGP zu ziehen. Auch die Verfügungsbeklagte und …gehen daher ausweislich ihrer Äußerungen auf der Pressekonferenz davon aus, dass diese von den Nutzem eher zur Kenntnis genommen werden als der restliche Inhalt der Suchergebnisseite.
92
Soweit die Verfügungsbeklagte behauptet, dass die Infoboxen lediglich Basisinformationen bereitstellten, die einen ersten Überblick geben, aber nicht das Informationsangebot der Verfügungsklägerin ersetzen, ist dieses Argument zum einen widersprüchlich. Denn die Verfügungsbeklagte betont selbst an anderer Stelle, dass die Infoboxen die Fragen der Nutzer vielfach bereits zufriedenstellend beantworten, weshalb die Nutzer nicht mehr auf den bereitgestellten Link zum NGP klickten. Zum anderen ist diese Behauptung weder mit dem tatsächlichen, durchaus umfangreichen Inhalt der Infoboxen, der für manchen Informationssuchenden sicherlich ausreichende Antworten liefert, noch mit den tatsächlichen Auswirkungen, wie sie die Verfügungsklägerin glaubhaft gemacht hat, in Einklang zu bringen.
93
Unabhängig davon, wieviel Gebrauch die Nutzer tatsächlich von dem Link auf das NGP machen, spricht die rückläufige Klickrate auf der Seite der Verfügungsklägerin im Einklang mit den eigenen Ausführungen der Verfügungsbeklagten dafür, dass eine Vielzahl der Nutzer ihre Suche aufgrund der Infoboxen abbricht, weil ihr Informationsbedürfnis bereits hierdurch gestillt wird. Die – unter Hinweis auf auch sonst vorkommende Schwankungen der Zugriffe bestrittene – Kausalität der Infoboxen für den – als solchen unbestrittenen – Rückgang der Klickrate für bestimmte Gesundheitsbegriffe ist hinreichend glaubhaft gemacht. So hat die Verfügungsklägerin Gesundheitsbegriffe ausgewählt, bei denen das Ranking in den allgemeinen Suchergebnissen während des Untersuchungszeitraums gleichbleibend war, so dass ein Rückgang der Klickrate nur auf einen Rückgang der Visibilität zurückzuführen sein kann. Auch zeigt der noch stärker ausgeprägte Rückgang der Klickrate auf mobilen Endgeräten, bei denen es die Anordnung von Anzeigen, Infoboxen und generischen Ergebnissen nötig macht, noch weiter nach unten zu scrollen, um zu den generischen Suchergebnissen zu gelangen, dass eine Korrelation zwischen dem Maß des Verlustes an Sichtbarkeit und dem Rückgang der Klickrate besteht.
94
Eine abweichende Erklärung für die rückläufige Klickrate hat die Verfügungsbeklagte nicht vorgetragen, sondern lediglich auf Traffic- bzw. Ranking-Schwankungen schon vor Einführung der Infoboxen verwiesen. Es leuchtet jedoch nicht ein, weshalb der nominale Traffic oder das Ranking bessere Indikatoren für die wettbewerblichen Auswirkungen der streitgegenständlichen Vereinbarung sein sollen als die Klickrate. Die nominale Entwicklung des Traffics sagt nichts darüber aus, wie sich dieser ohne die streitgegenständliche Vereinbarung entwickelt hätte, was für die Beurteilung der wettbewerblichen Auswirkungen aber maßgeblich ist (s.o.). Diesen Bezug stellt die Klickrate aber zumindest annähernd her, indem sie die Entwicklung der Klicks auf eine Webseite bei gleichbleibendem Ranking und gleichbleibender Anzahl an Impressionen misst. Wenn Suchergebnisse der Verfügungsklägerin gleichbleibend oft und auf gleichem Rang gezeigt werden, aber weniger angeklickt werden, und dieser Effekt zeitgleich mit dem Ausspielen der Infoboxen eintritt, ist das ein deutliches Indiz dafür, dass auch ein (gleichbleibend) gut platziertes generisches Suchergebnis aufgrund der Infoboxen an Aufmerksamkeit eingebüßt hat.
95
Zwar mag es sein, dass die Analysen der Verfügungsklägerin eher exemplarischen Charakter haben und auch, dass keine konkret erlittenen Umsatzeinbußen beziffert werden können. Zum einen hat die Verfügungsklägerin jedoch glaubhaft gemacht, dass ihr Geschäftsmodell wegen des sog. Keyword-Targeting schon auf Sichtbarkeitsverluste bei einzelnen, eng umgrenzten Themenfeldern sensibel reagiert (Anlage K36, S. 2). Zum anderen kann sich die Verfügungsklägerin hier auch maßgeblich auf die oben dargelegten potentiellen Auswirkungen der Vereinbarung berufen, denn angesichts der kurzen Dauer der Schaltung der Infoboxen konnten sich wettbewerbsbeschränkende Effekte aller Wahrscheinlichkeit nach noch nicht vollständig auswirken. Auf die nach dem Vortrag der Verfügungsklägerin obendrein zu befürchtenden sekundären Effekte, welche ein Abrutschen im Ranking aufgrund des durch die Infoboxen verstärkten Ansteuerns der Webseite des NGP und deren Einfluss auf den Algorithmus der …-Suche möglicherweise befürchten lassen, kommt es vor diesem Hintergrund nicht an.
96
Die nachteiligen Auswirkungen führen dazu, dass die Verfügungsklägerin ihre Inhalte weniger Nutzern zugänglich machen kann, als dies ohne die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung der Fall wäre. Dabei ist die Schaltung von kostspieligen Anzeigen zur Erhaltung der Sichtbarkeit keine wirtschaftlich gleichwertige Alternative, auf die sich die Verfügungsklägerin verweisen lassen könnte oder müsste. Im Ergebnis kann die Verfügungsklägerin hierdurch weniger Einnahmen durch Werbemaßnahmen generieren und hat so weniger Spielraum für Investitionen in die Verbesserung ihrer Dienstleistung, als es ohne die Schaltung der blickfangartigen Infoboxen möglich wäre. Wenn die Verfügungsklägerin weniger Traffic generiert, ist sie auch als Plattform für Werbetreibende weniger interessant. Es liegt auf der Hand, dass diese ihre Werbung dorthin verlagern, wo sie ihre Zielgruppe besser erreichen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass diese Verlagerung zugunsten der Verfügungsbeklagten erfolgt, die gar nicht werbefinanziert ist. Dass die Parteien nicht auf dem Werbekundenmarkt konkurrieren und auch …auf einem anderen Werbemarkt tätig, ist vielmehr unerheblich. Die Beschränkung des Wettbewerbs um informationssuchende Nutzer schlägt bei der Verfügungsklägerin auf den Werbekundenmarkt durch. Dass der von der Verfügungsbeklagten angeführte „Werbekuchen“ durch die Aktivitäten nicht kleiner wird, ist so nicht richtig. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Werbekunden der Verfügungsklägerin auf Gesundheitsportale beschränkt sein sollten. Auf dem Online-Werbemarkt gibt es vielmehr eine Vielzahl anderer Webseiten, auf die die Werbekunden der Verfügungsklägerin ausweichen können, um ihre Zielgruppe besser zu erreichen. Es ist daher eher naheliegend, dass Werbekunden im Falle einer sinkenden Reichweite der privaten Gesundheitsportale aufgrund des staatlichen Informationsangebots ihre Werbung auf den Gesundheitsportalen zugunsten anderer online Werbekanäle reduzieren und der von der Verfügungsbeklagten angeführte „Kuchen“ jedenfalls für die Gesundheitsportale dadurch tatsächlich kleiner wird.
97
(c) Eine Wettbewerbsbeschränkung ist auch nicht, wie die Verfügungsbeklagte meint, durch den Markterschließungsgedanken (Langen/Bunte/Krauß, Kartellrecht, 13. Aufl. 2018, § 1 Rn. 146 f.) ausgeschlossen. Zum einen liegt eine Wettbewerbsbeschränkung hier nicht allein im Innenverhältnis zwischen den – nicht auf dem gleichen Markt tätigen – Parteien der Vereinbarung vor (s.o.). Zum anderen kann die Vertreterin der Verfügungsbeklagten, das Bundesministerium für Gesundheit, nicht ernsthaft als „kleine Einheit“ bezeichnet werden, und schon gar nicht stellt die prominente Platzierung in den Infoboxen für die Verfügungsbeklagte die einzige Möglichkeit dar, auf dem Markt für Gesundheitsportale Fuß zu fassen. Andere Portale haben dies auch mit Wettbewerbsmitteln, nämlich Investitionen in die Qualität und Relevanz der Inhalte und suchmaschinenoptimierende Maßnahmen, geschafft.
98
(3) Eine Freistellung der Vereinbarung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 GWB kommt nicht in Betracht. Die Vereinbarung trägt nicht zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts bei.
99
Freigestellt nach Art. 101 Abs. 3 AEUV sind Vereinbarungen, die Effizienzgewinne erzeugen. Unterschieden wird dabei zwischen quantitativen und qualitativen Effizienzsteigerungen. Dabei müssen durch die Vereinbarung objektive Vorteile entstehen, welche geeignet sind, die mit der Wettbewerbsbeschränkung verbundenen Nachteile auszugleichen. Dies erfordert in ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass die durch eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung entstehenden Vorteile zu einer Steigerung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt führen müssen (Immenga/Mestmäcker/Ellger, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 3 Rn. 134).
100
Wann ein objektiver Vorteil vorliegt, ist unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses der Union zu bestimmen. Es reicht nicht, wenn die Parteien durch eine Vereinbarung lediglich ihre eigene Planungssicherheit verbessern und ihre Vertriebsorganisation effizienter gestalten können. Vielmehr muss ein im Unionsinteresse liegender marktwirksamer Effekt nachgewiesen werden (MüKo WettbR/Wolf, 3. Aufl. 2020, AE-UV Art. 101 Rn. 1083, 1084).
101
Die beteiligten Unternehmen müssen hierzu eine nachvollziehbare Einschätzung des Umfangs der zu erwartenden Vorteile vorgetragen, welche den in der Wettbewerbsbeschränkung liegenden Nachteilen gegenübergestellt werden könnten (vgl. Immenga/Mestmäcker/Ellger, 6. Aufl. 2019, AEUV Art. 101 Abs. 3 Rn. 138).
102
(4) Derartige ausgleichende Effizienzgewinne hat die insoweit darlegungspflichtige Verfügungsbeklagte nicht vorgetragen und glaubhaft gemacht.
103
Die Verfügungsbeklagte beruft sich zum einen auf eine qualitative Verbesserung der …-Suche, da den Verbrauchern unmittelbar verlässliche und autoritative Informationen zu bestimmten Krankheiten angezeigt werden. Zum anderen behauptet sie eine Verbesserung der Gesundheitsaufklärung der Bevölkerung durch die Infoboxen.
104
(a) Es erscheint schon fraglich, ob die Einbindung von syndiziertem Content eine Verbesserung einer Suchmaschine darstellt, da es sich letztlich weniger um eine Verbesserung des Suchmaschinendienstes als um eine Verlagerung der Tätigkeit Googles auf einen anderen Markt handelt, nämlich den eines Verlegers oder sonstigen Anbieters von – sei es lexikalischen oder journalistischen, jedenfalls aber schon wegen der bewussten inhaltlichen Reduzierung nicht völlig meinungsfreien – Inhalten. …geht damit über die Grundfunktion der …-Suche, als Suchplattform im Internet Nachfrager nach Produkten oder Dienstleistungen (z.B. Informationen) und deren Anbieter zusammenzubringen, aber auch über die unmittelbare Beantwortung sachlicher Suchanfragen (z.B. Wetter, Höhe des Eiffelturms) hinaus. Letztlich verlässt …den Markt der reinen Suchmaschine im Sinne eines Vermittlers von Produkten an Nutzer und wird selbst zu einem Anbieter dieses Produkts. Dabei entspricht es zwar dem Leistungsgedanken des Wettbewerbs, Produktveränderungen und Verbesserungen hervorzubringen. Wenn aber …dauerhaft eine Infobox mit den Inhalten des NGP vor die generischen Suchergebnisse setzt, bewertet das Unternehmen zum einen die verschiedenen im Netz zur Beantwortung einer Suchanfrage zur Verfügung stehenden Quellen, indem es eine davon vorab als maßgebliche Antwort prominent hervorhebt. Damit trifft es eine inhaltliche Vorauswahl, die losgelöst von dem …Algorithmus ist. Dies ist für den Nutzer zum einen nicht unbedingt transparent, zum anderen wird hier eine inhaltliche Bewertung getroffen und damit letztlich ein Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung geleistet. Ob dies eine Verbesserung einer Suchmaschine ist, erscheint objektiv zumindest zweifelhaft.
105
(b) Selbst wenn man mit der Verfügungsbeklagten davon ausgeht, dass die …-Suche durch die Einbindung der Infoboxen mit unmittelbar sichtbaren Gesundheitsinformationen attraktiver wird (vgl. LG Hamburg, Beschl. v. 04.04.2013 – 408 HKI 36/13), stellt dies keinen Effizienzgewinn im Sinne der Freistellungsvorschrift des Art. 101 Abs. 3 AEUV dar.
106
Die Steigerung der Attraktivität des Produkts eines einzelnen Marktteilnehmers stellt weder eine Steigerung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt dar, noch hat die Verfügungsbeklagte einen im Unionsinteresse liegenden marktwirksamen Effekt glaubhaft gemacht. Ein solcher steht auch nicht zu erwarten. Denn die attraktivere Gestaltung des Produkts eines einzelnen Anbieters für die Verbraucher kann nicht die Nachteile aufwiegen, die hier durch die Wettbewerbsbeschränkung für sämtliche andere Marktteilnehmer entstehen.
107
Dies gilt vor allem wenn – wie hier – ein marktbeherrschendes Unternehmen als „Gatekeeper“ auf dem vorgelagerten Suchmaschinenmarkt zum Nachteil der von ihm abhängigen privaten Mitbewerber dem steuerfinanzierten Angebot des Staates dauerhaft eine „Poleposition“ im Kampf um die Aufmerksamkeit der Nutzer vermittelt, um die Attraktivität bzw. Visibilität ihrer jeweils eigenen Produkte aufzubessern. Hier greifen zwei Akteure in den relevanten Markt ein, die selbst ein geringes wirtschaftliches Risiko eingehen und erschweren den bereits vorhandenen Marktteilnehmern den Zugang zu ihren Nutzern, was bei dem speziell betroffenen Markt auch noch einen Eingriff in die Medien- und Meinungsvielfalt mit sich bringt.
108
Wie in einem solchen Fall die zu erwartenden Vorteile die Nachteile aufwiegen sollen, hat die Verfügungsbeklagte weder nachvollziehbar dargelegt noch ist dies ersichtlich.
109
(c) Soweit die Verfügungsbeklagte die Verbesserung der Gesundheitsaufklärung der Bevölkerung als Wohlfahrtsgewinn anführt, fehlt es auch insoweit an einer nachvollziehbaren Darlegung und Gewichtung dieses Vorteils. Dass eine nennenswerte Anzahl unseriöser Gesundheitsportale in den oberen Suchergebnissen der …-Suche erscheinen, behauptet die Verfügungsbeklagte nicht. Selbst wenn man eine Notwendigkeit zur Steigerung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung unterstellt, ist jedenfalls nicht dargetan und glaubhaft gemacht, inwieweit gerade die Infoboxen hierzu tatsächlich einen erheblichen Beitrag leisten. Jedenfalls erscheint dieser Vorteil in der Abwägung der vorgenannten Gesamtumstände nicht so überragend, dass dies die Gefahr der Verdrängung anderer seriöser Anbieter von Gesundheitsinformationen vom Markt rechtfertigt. Im Gegenteil droht dadurch ein Verlust der bestehenden Vielfalt an qualitativ hochwertigen Gesundheitsportalen und damit auch der Verfügbarkeit von medizinischen „Zweitmeinungen“.
110
2. Die Verfügungsklägerin hat keinen Anspruch gegen die Verfügungsbeklagte auf Unterlassen der bloßen Duldung der Nutzung von Inhalten des NGP durch … Verboten gem. Art. 101 Abs. 1 AEUV, § 1 GWB sind wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen. In einer bloßen Duldung wäre keine Vereinbarung zu sehen. Hinzukommt, dass ein Verbot die Verfügungsbeklagte insoweit – falls die übernommenen Inhalte urheberrechtlich nicht geschützt wären – zu einem rechtlich gar nicht möglichen Einschreiten gegen …verpflichten würde. Schon aus diesem Grund lässt sich der geltend gemachte Anspruch insoweit auch nicht aus den anderen angeführten Anspruchsgrundlagen herleiten.
111
3. Die Ordnungsmittelandrohung war auf die Androhung eines Ordnungsgeldes mit Ersatzordnungshaft zu beschränken, da dieses vorliegend ausreichend erscheint. Zwar kommt im Bereich des Privatrechts grundsätzlich auch die Androhung von Ordnungshaft, die an Behördenvertretern zu vollstrecken wäre, in Betracht (vgl. OLG Köln GRUR-RR 2018, 461, 463 – WarnWetterApp). Vorliegend erscheint dies jedoch zur Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs nicht erforderlich, denn es ist davon auszugehen, dass sich die Bundesregierung als Verfügungsbeklagte auch ohnedies an die Verpflichtung aus einem rechtskräftigen Urteil halten wird.
112
4. Die Vollziehung der einstweiligen Verfügung war nicht gem. §§ 935, 936, 921 S. 2 ZPO von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen, wie die Verfügungsbeklagte mit Schriftsatz vom 16.12.2020 vorsorglich beantragt hatte. Die Verfügungsbeklagte hat ihren Antrag insoweit weder begründet, noch ist ein Grund für die Anordnung ersichtlich.
III.
113
Die Verfügungsklägerin hat auch das Bestehen eines Verfügungsgrundes glaubhaft gemacht.
114
Ein Verfügungsgrund liegt vor, wenn die objektiv begründete Gefahr besteht, dass durch Veränderung des Status quo die Rechtsverwirklichung des Antragstellers mittels des im Hauptsacheprozess erlangten Urteils einschließlich dessen Vollstreckung vereitelt oder erschwert werden könnte. Der Antragsteller muss sich dabei nicht auf einen Entschädigungsanspruch verweisen lassen (MüKoZPO/Drescher, 6. Aufl. 2020, ZPO § 935 Rn. 15).
115
Die Verfügungsklägerin hat, wie oben ausgeführt, glaubhaft dargelegt, dass ihr aufgrund des durch die Infoboxen bedingten Sichtbarkeitsverlustes in der …-Suche Traffic verloren zu gehen droht, der sich bereits jetzt in einem Rückgang der Klickraten bei einzelnen Krankheitsbegriffen realisiert hat, und dass der Nutzertraffic für den Abschluss vorteilhafter Verträge mit Werbetreibenden maßgeblich ist. Es ist zu befürchten, dass sich der Rückgang bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens in konkreten Einkommensverlusten niederschlägt, zumal die Verfügungsklägerin glaubhaft gemacht hat, dass aufgrund des Keyword-Targeting als ihrem zentralen Marketinginstrument bereits eine Verringerung der Sichtbarkeit auf thematisch eng gefassten Themenfeldem ihre Monetarisierungsmöglichkeiten stark beeinträchtigt (vgl. Anlage K36, S. 2). Die Verfügungsklägerin muss diese Einkommensverluste weder abwarten, noch muss sie für den Erlass einer einstweiligen Verfügung glaubhaft machen, dass sie in ihrer Existenz gefährdet ist, zumal die Verfügungsklägerin keine Leistungsverfügung beantragt.
116
Die Verfügungsklägerin hat die sich aus diesen Umständen ergebende Dringlichkeit nicht dadurch widerlegt, dass sie nicht alles in ihrer Macht stehende getan hat, um einen möglichst baldigen Erlass der einstweiligen Verfügung zu erreichen (vgl. OLG Düsseldorf Urt. v. 07.09.2020 – VI-U (Kart) 4/20 – NZKart 2020, 545, 546). So hat sie den Antrag am 27.11.2020, mithin binnen eines Monats nach Beginn der Kooperation zwischen der Verfügungsbeklagten und …bei Gericht eingereicht.
117
Dem drohenden Rechtsverlust stehen auch keine vorrangig zu berücksichtigenden Interessen der Verfügungsbeklagten gegenüber. Ein nachhaltiger Reputationsverlust des Bundesministers für Gesundheit ist durch die Rücknahme der Infoboxen ebenso wenig zu erwarten wie eine Beeinträchtigung des Allgemeininteresses an der öffentlichen Gesundheit. Dass eine vorläufige Untersagung der Infoboxen auf der Suchergebnisseite von …Einfluss auf das Vertrauen der Bevölkerung in die Verlässlichkeit der Informationen des NGP haben soll, ist nicht nachvollziehbar. Erst recht ist nicht ersichtlich, weshalb dem NGP bei Erlass einer einstweiligen Verfügung ein Sichtbarkeitsverlust drohen soll, der unwiderruflich wäre.
IV.
118
Die Entscheidung über die Kosten ergeht gem. §§ 92 Abs. 1 S. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Dabei war zu berücksichtigen, dass der zurückgenommene Antrag zu Ziff. 2) sich gegen den Betrieb des NGP als solches richtete und damit in seiner Bedeutung über das Verbot der Infoboxen auf der Ergebnisseite der …-Suche (Antrag zu Ziff. 1) deutlich hinausging. Ferner waren zum Nachteil der Verfügungsklägerin die – weniger gewichtigen – Kosten für den zurückgenommenen Teil sowie den abgewiesenen Teil des Antrags zu Ziff. 1) zu berücksichtigen, so dass eine Kostenverteilung von ¼ zu ¾ insgesamt angemessen erscheint.
119
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht hinsichtlich des Kostenerstattungsanspruchs der Verfügungsbeklagten gem. §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.

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